Nicht Fisch, nicht Fleisch - die Menschenwürde ist nicht verhandelbar

Frank Eschrich, Mitglied im Landesvorstand

Bundesverfassungsgericht hebt Hartz-IV-Sanktionen nur teilweise auf

Das Bundesverfassungsgericht hat heute Sanktionen im Arbeitslosengeld II-Bezug teilweise für verfassungswidrig erklärt, weil sie mit der Würde des Menschen und dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes unvereinbar sind. Sanktionen wegen Verletzungen der Mitwirkungs- oder anderer Pflichten sind nur noch in Höhe von 30 Prozent der Regelleistung zumutbar, müssen im Einzelfall begründet und können jederzeit beendet werden, wenn sich die Entscheidungsgründe verändert haben. Eine starre Befristung von Sanktionen über 3 Monate ist verfassungswidrig und muss nach Wegfall der Sanktionsgründe jederzeit aufhebbar sein.

„Wir bleiben als LINKE bei unserer Auffassung, dass Kürzungen des grundgesetzlich garantierten Existenzminimums - egal in welcher Höhe und egal über welchen Zeitraum - mit der Würde des Menschen unvereinbar sind. Man hungert Menschen nicht aus, nimmt ihre Obdachlosigkeit in Kauf oder lässt sie im Winter frieren, weil sie den Anweisungen eines Fallmanagers nicht gefolgt sind“, kritisiert Frank Eschrich, Mitglied des Landesvorstands: „Sanktionen im Sozialleistungsbezug sind und bleiben unmenschlich und sind durch nichts zu rechtfertigen. Solche mittelalterlichen Brachialmethoden im Umgang mit nicht willfährigen Menschen schienen längst überwunden, bis sie von der Regierung Schröder/Fischer nach Vorlage der Bertelsmannstiftung in das Sozialgesetzbuch geschrieben wurden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist weder Fisch noch Fleisch und bleibt weit hinter den Erwartungen und Hoffnungen von 4 Millionen betroffenen Menschen zurück, deren einziges Vergehen Arbeitslosigkeit ist. Sie wurden Opfer der Globalisierung, wurden zwecks Gewinnmaximierung wegrationalisiert oder haben durch Missmanagement ihren Job verloren. Während die Betrüger in den Automobilkonzernen undr Pleitebanken mit großzügigen Abfindungen in den Ruhestand gehen, werden die Leidtragenden dieser Politik weiterhin kurz gehalten und drangsaliert. Leider hatte das Bundesverfassungsgericht heute nicht den Mut, gegen das Hartz-IV-Sanktionsregime ein klares und deutliches Signal zu setzen und den Gesetzgeber aufzufordern, die Sanktionen ersatzlos zu streichen. Stattdessen wurden zahlreiche Hintertüren geöffnet und allerlei Spielräume für kreative Auslegungen gelassen. Oberdrein wird das heutige Urteil einen Bürokratismus ungeahnten Ausmaßes nach sich ziehen und die Sozialgerichte weiter überlasten, denn letztlich bleibt es Auslegungssache der Jobcenter, welche Sanktion gerechtfertigt ist und welche nicht.

Die Chance, klare Verhältnisse zu schaffen, wurde vertan. Wohl nicht zuletzt in Rücksicht darauf, andernfalls den Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte damit ins Stammbuch zu schreiben, millionenfachen Verfassungsbruch begangen zu haben.“