„Den gesellschaftlichen Diskurs nach links verschieben“ – Julian Theiß im Interview

Bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag sind über 120.000 Jung- und Erstwähler zur Stimmabgabe in Rheinland-Pfalz aufgerufen. Über das Thema Jugendpolitik sprechen wir mit dem 20-jährigen Abiturienten Julian Theiß aus Kaiserslautern, Kandidat der Partei DIE LINKE auf Listenplatz 4 und Direktkandidat im Wahlkreis 44 (Kaiserslautern II).

Julian, als junger Erwachsener bist Du in Rheinland-Pfalz mit einer ewigen SPD-Regierung, in den letzten 5 Jahren mit Rot-Grün groß geworden. Wie fühlst Du Dich damit?

Julian Theiß: In erster Linie fällt mir der Stillstand in unserem Land auf. Schauen wir uns die neuesten Statistiken an, sehen wir beispielsweise, dass das Problem der Armut offensichtlich nicht oder nur unzureichend angepackt worden ist: Weit über 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind von Armut bedroht, die Quote steigert sich von Jahr zu Jahr, vor allem ältere und jüngere Menschen sind ohne Perspektive. Und das ist nicht der einzige Bereich, in dem die Landesregierung unzureichend oder überhaupt nicht handelt. Es existieren anscheinend keine Pläne, wie weiter mit dem Flughafen Hahn verfahren werden soll, der Nürburgring-Skandal wurde kaum aufgeklärt und die Unterbringungssituation für hunderte Geflüchtete ist nicht hinnehmbar. Die 'ewige SPD-Regierung' lässt also das Gefühl bei mir auftreten, dass wir einen gesellschaftlichen Linksruck brauchen, und der muss sich parlamentarisch in einer Linksfraktion manifestieren.

Kommen wir auf die konkrete Situation der Jugendlichen in unserem Land zu sprechen. Sehr viele Schülerinnen, Schüler und Azubis müssen weite Wegstrecken zu ihrem Schul- oder Ausbildungsort zurücklegen. Was ist grundsätzlich festzustellen, was ist verbesserungswürdig?

Julian Theiß: Grundsätzlich ist festzustellen, dass im Flächenland Rheinland-Pfalz gerade im Bereich Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) viel getan werden muss. Auch hier hat die Landesregierung einiges versäumt und Fehler gemacht. Rückläufige SchülerInnenzahlen haben Einfluss auf die Planung des ÖPNV. Dass gerade in ländlichen Gebieten am Wochenende ohnehin kaum eine Bus- oder Bahnanbindung vorhanden ist, scheint nicht zu interessieren. Für DIE LINKE steht fest, dass das Streckennetz ausgebaut werden muss, um den ÖPNV wieder zu einer attraktiven ökologischen Alternative gegenüber der Nutzung von PKWs zu machen. Außerdem ist es gerade für Jugendliche, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, wichtig ein qualitativ hochwertiges Angebot zu schaffen. Privatisierungen müssen gestoppt und rückgängig gemacht werden, um sowohl die Qualität des Angebots als auch den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Nahverkehrsbetrieben vor Lohndumping sicherzustellen.

Heute steht die Unabhängigkeit – auch die finanzielle – von Heranwachsenden in Schule, Beruf und Studium mehr denn je zuvor auf der Tagesordnung. Das Leben ist spürbar teurer geworden. Was fordert die Linksjugend Rheinland-Pfalz von Bildungsträgern und Arbeitgebern, um die Ausbildungsphase nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig bleiben zu lassen?

Julian Theiß: Zum einen fordern wir einen lückenlosen Mindestlohn von 12,50 Euro, auch für Minderjährige, Auszubildende, Langzeiterwerbslose und alle 'geringfügig' Beschäftigten. Außerdem soll das BAFöG vom Einkommen der Eltern entkoppelt werden, um die finanzielle Unabhängigkeit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu gewährleisten. Auch sollten bürokratische Hürden, gerade im Bezug von SchülerInnen-BAFöG, abgebaut werden. Hier sind sowohl die Arbeitgeber als auch die Bundespolitik und das Land in der Pflicht.

In Rheinland-Pfalz leben fast 20 Prozent der unter 15-Jährigen unterhalb der Armutsgrenze. Was tut unsere Landesregierung für die Heranwachsenden in Stadt und Land, was tut sie nicht? Und was sollte sie unterlassen oder besser machen?

Julian Theiß: Die Landesregierung hatte teils akzeptable Konzepte, um die Folgen von Kinder- und Jugendarmut abzumildern. So herrscht Beitragsfreiheit für Kitas und es existieren Sozialfonds für Mittagsessen in Kitas sowie Lernmittelfreiheit. Allerdings muss noch viel mehr Geld in die Abmilderung der Folgen sozialer Benachteiligung, vor allem in Schulsozialarbeit und in die Stärkung der Ganztagsschulen, investiert werden. Das Wichtigste ist jedoch, dass endlich nicht nur Symptome, sondern auch Ursachen bekämpft werden. Dies hat die Landesregierung noch nie getan. Allerdings wäre hier auch, oder sogar gerade, die Bundesregierung in der Pflicht – einschneidende Änderungen sind von dort aber nicht zu erwarten. Das Hartz-System muss überwunden und Eigentumsverhältnisse gehören auf den Prüfstand. Kurzfristig müssen die Löcher des Mindestlohnsystems gestopft werden, damit Eltern finanziell besser gestellt werden. Bildung muss inklusiv und individuell gestaltet werden, um ein Abrutschen der nachkommenden Generationen zu verhindern.

Wie kann es sein, dass Parteien mit 'jugendlich-grünem' und 'fortschrittlichem' Image in Wahrheit so fern von der Realität handeln? Was sind die Gründe, weshalb DIE LINKE den Landtagswahlkampf mit einer klaren Oppositionsansage führt?

Julian Theiß: Warum die Grünen ihre frühere oft progressive Politik ins Gegenteil verkehrten, müsste man sie am besten selbst fragen. Ein Grund ist wohl, dass so genannte 'Fundis', also Personen, die sich nicht korrumpieren ließen, systematisch aus der Partei gedrängt wurden. Der Wunsch nach Regierungsbeteiligung war oft größer als der Wunsch nach Wandel. DIE LINKE führt den Wahlkampf mit einer klaren Oppositionsansage, weil wir kein Mehrheitsbeschaffer sein und keine Elendsverwaltung betreiben wollen. Als LINKE sind wir dann stark, wenn wir der außerparlamentarischen Bewegung ein Sprachrohr sein können und durch Initiativen, Anfragen, Reden und dergleichen den gesellschaftlichen Diskurs nach links verschieben können. Das ist, gerade in Rheinland-Pfalz, wertvoller als der Bevölkerung das Märchen vom 'menschlichen Kapitalismus' als Anhängsel einer im Kern bürgerlichen Regierung verkaufen zu wollen. Unsere roten Haltelinien, wie der Stopp jeglicher Privatisierung und das klare 'Nein' zum Sozialabbau, müssten durchbrochen werden, um in den Augen von SPD und Grünen 'regierungsfähig' zu sein. Das kommt für uns nicht in Frage!

Noch eine weitere Baustelle zum Schluss: Rheinland-Pfalz hat in der Justiz- und Drogenpolitik mittlerweile Bayern rechts überholt, Wiederholungskiffer werden zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Was 'muss drin sein' für Cannabis-KonsumentInnen?

Julian Theiß: Zum einen muss Cannabis sowie perspektivisch alle Drogen entkriminalisiert werden. Die Prohibition schadet nur dem schwächsten Glied in der Kette des Drogenhandels, dem/der KonsumentIn. Studien aus den Niederlanden belegen zudem, dass der Hanfkonsum durch Legalisierung nicht steigt, sondern eher rückläufig ist. Außerdem können durch Legalisierung einer Droge, die sowieso schon in großen Teilen der Bevölkerung angekommen ist, enorme Steuereinnahmen erzielt werden, Beispiel Colorado. Diese könnten zum einen in Prävention und Programme für abhängige KonsumentInnen und zum anderen in derzeit unterfinanzierte Felder wie Bildung und Infrastruktur investiert werden. Legales kiffen, Prävention und Therapieplätze für Abhängige: Das muss drin sein!

Julian, wir danken für dieses Gespräch und wünschen Dir viel Erfolg als Kandidat der LINKEN bei der Landtagswahl am 13. März 2016.

Zur Person: Der 20-jährige Abiturient Julian Theiß aus dem Landkreis Kaiserslautern ist aktiv bei der Linksjugend ['solid] Rheinland-Pfalz sowie in außerparlamentarischen Initiativen gegen Rechts; er sieht seine politischen Schwerpunkte bei jugendpolitisch relevanten Themen wie Bildung, Freiräume, ÖPNV, aber auch Antifaschismus und Flüchtlingspolitik.