„Armut ist kein Wunschkonzert“
Julia-C. Stange im Gespräch mit Hans Sander
Die Tafeln retten Lebensmittel und helfen Menschen in Not – doch können sie langfristig soziale Gerechtigkeit fördern? Hans Sander, aus dem Sprecher*innenkreis der Landesarmutskonferenz Rheinland-Pfalz und Erwerbslosenberater bei ver.di, hat in einem Leserbrief scharfe Kritik geäußert und dafür viel Zuspruch erhalten. Julia-C. Stange, Spitzenkandidatin der Partei DIE LINKE Rheinland-Pfalz zur Bundestagswahl 2025, hat mit ihm gesprochen.
Julia-C. Stange:Hans, du kritisierst die Lebensmittel-Discounter scharf, vor allem wegen ihrer „Ausbeutungs- und Ausspitzelungs-Methoden“. Was genau meinst du damit?
Hans Sander: Mir sind Fälle bekannt, in denen Beschäftigte bei Discountern genötigt wurden, Änderungsverträge zu unterschreiben – oft mit schlechteren Konditionen. Solche Methoden sind perfide. Ohne gewerkschaftliche Unterstützung und öffentliche Aufklärung haben die Betroffenen kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren.
Gleichzeitig versuchen die Discounter, ihr Image aufzubessern, indem sie die Tafeln unterstützen. Wie bewertest du das?
Das ist reine Strategie. Die Discounter sparen sich die Entsorgungskosten für überschüssige Lebensmittel, bekommen dafür noch Spendenquittungen und präsentieren sich als Wohltäter. Das hat mit echter Verantwortung nichts zu tun.
Neben den Discountern kritisierst du auch die Rolle der Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Warum?
Ich sehe ihr Engagement für nachhaltige Armutsbekämpfung durchaus, aber oft bleiben sie zu zurückhaltend. Statt immer nur Gespräche mit der Politik zu führen, sollten sie sich auch mal stärker auf die Straße begeben. Wir brauchen Protest und öffentlichen Druck, wenn wir wirklich etwas verändern wollen.
Du sprichst hier von „christlicher Nächstenliebe“, die oft bei der Einweihung neuer Tafeln betont wird. Denkst du, das Engagement ist mehr PR als echte Hilfe?
Nein, ich unterstelle keine schlechten Absichten. Aber das System, in dem diese Hilfe stattfindet, ist das Problem. Solange Armut nicht konsequent bekämpft wird, bleiben die Tafeln ein notwendiges Übel.
Apropos Tafeln: Du hast in deinem Leserbrief darauf hingewiesen, dass sie strukturelle Probleme eher kaschieren. Kannst du das genauer erklären?
Klar, wird das kaschiert. Es gibt in Rheinland-Pfalz mittlerweile 70 000 Menschen die von den Tafeln im Bundesland unterstützt werden. Das ist ein Anstieg von 30 Prozent in den letzten zwei Jahren. Die Tafeln sind nach eigenen Angaben am Limit. Das hängt auch damit zusammen, dass durch die Preissteigerungen gerade bei den Discountern und der damit verbundenen sinkenden Kaufkraft weniger verkauft und somit auch weniger produziert wird. Folgerichtig landen auch weniger Lebensmittelspenden bei den Tafeln. Das zeigt doch, wie groß das Versagen der Politik ist.
Was schlägst du vor, um die Tafeln langfristig überflüssig zu machen?
Hier helfen höhere bedarfsgerechte Regelsätze, Abschaffung der Sanktionen im Bürgergeld und dass das Kindergeld nicht mehr angerechnet wird. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dazu gehört selbstverständlich auch ein höherer Mindestlohn. So etwas muss sich politisch ändern, sonst bleibt das System wie es ist – ungerecht.
Deine Vision ist also eine Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit herrscht. Was wäre deiner Meinung nach der erste Schritt dahin?
Ganz klar: Umverteilung. Wir müssen endlich Vermögen konsequent besteuern. Ohne eine Umverteilung von oben nach unten bleibt soziale Gerechtigkeit ein leeres Versprechen.
Glaubst du, es ist realistisch, die Abhängigkeit von Tafeln in naher Zukunft zu beenden?
Nein, das glaube ich nicht. Solange keine soziale Gerechtigkeit existiert ist auch die Tafel ein notwendiges Übel. Aber das darf uns nicht davon abhalten, weiter für echte Veränderungen zu kämpfen.
Manche werfen den Tafeln vor, sie würden eine Kultur des Almosengebens fördern. Wie siehst du das?
Das sind sicherlich zwei Seiten der gleichen Medaille. Natürlich helfen die Tafeln Menschen in Not. Aber sie fördern damit auch die Passivität der von Armut betroffenen Menschen und tragen somit ihren Teil dazu bei warum sich so wenig Menschen gegen die immer mehr um sich greifende Armut zu Wehr setzen. Das ist tatsächlich ein Dilemma. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig und wehren sich nicht mehr gegen ihre Situation. Das muss sich ändern.
Was erwartest du in diesem Zusammenhang von der Politik?
Armutsbekämpfung ist kein Wunschkonzert. Es liegt an den betroffenen Menschen aufzustehen und laut zu sagen: Es reicht. Die Kinderarmut hat ein Rekordniveau erreicht und auch die Altersarmut steigt immer weiter.
Dein Leserbrief hat viel Zuspruch erhalten. Was hat dich dazu bewegt, ihn zu schreiben?
Ich beziehe mich auf einen Artikel in der „Rheinpfalz“ wo die Hintergründe warum die Tafeln überhaupt existieren völlig ausgeblendet werden. Wie bereits gesagt: Es ist die zunehmende Armut. Schließlich wurde die Tafel als Anlaufstelle für obdachlose Menschen gegründet. Heute müssen sogar Menschen diese Wohltätigkeit in Anspruch nehmen, die im Niedriglohnsektor festhängen. Arbeit beseitigt schon lange nicht mehr die Armut. Das muss immer wieder in aller Schärfe gesagt werden. Das ist ein Skandal.
Hast du auch kritische Rückmeldungen erhalten?
Nein, bisher nicht. Und ehrlich gesagt sehe ich keinen Grund, von meinen Positionen abzurücken.
Zum Abschluss: Gibt es etwas, das dir besonders wichtig ist?
Ja. Mir ist wichtig zu sagen, dass meine Kritik sich nicht an die ehrenamtlichen Helfer*innen richtet. Auch nicht an die hauptamtlich Beschäftigten. Es geht um ein System, dass sich immer mehr aus der sozialen Verantwortung stiehlt und einer Institution überlässt, dass ans finsterste Mittelalter erinnert wo edle Ritter und der Klerus Nahrungsmittel an ausgewählte Bedürftige verteilen. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft, in der solche Institutionen nicht mehr nötig sind.
Lieber Hans, vielen Dank für das Gespräch und deinen unermüdlichen Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Deine Kritik zeigt, dass die Tafeln nicht die Antwort auf Armut sind, sondern nur eine Notlösung!
Und genau hier setzt DIE LINKE an: Wir wollen keine Almosen, sondern Gerechtigkeit. Die Frage der Zeit ist eine soziale Frage, und wir haben die Antworten darauf: keine Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, einen Mietendeckel, ein Mindestlohn von mindestens 15 Euro, höhere Löhne, gute Arbeitsbedingungen, starke Gewerkschaften und Steuersenkungen für alle – außer für die Superreichen.
Es geht um eine Gesellschaft, in der alle Menschen gut und sicher leben können. Dazu gehört, die Tafeln überflüssig zu machen, indem wir Armut an der Wurzel packen. Und dafür brauchen wir nicht nur starke politische Forderungen, sondern auch aktive, organisierte Menschen, die mit uns kämpfen.
Darum: Am 23. Februar DIE LINKE wählen! Gemeinsam schaffen wir soziale Gerechtigkeit