Streikrecht schützen

Jochen Bülow

Konservative Politiker, viele Medien und sogar Gewerkschafter nehmen den Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) zum Anlass, das Streikrecht in Frage zu stellen. Eine Repli

 

Klar, wenn morgens der Zug nicht fährt, ist das nicht schön. Und wenn Ferienpläne umgeworfen werden, auch nicht. Aber was das Blatt mit den großen Buchstaben, viele Politiker und sogar Gewerkschafter derzeit in Sachen Bahnstreik von sich geben, ist pure Meinungsmache gegen ein Grundrecht. Koalitionsfreiheit und Streikrecht sind elementare Grundlagen der Demokratie und nicht zuletzt seit Jahrzehnten ein Garant dafür, dass die Interessen der Beschäftigten wirksam formuliert und durchgesetzt werden können. Und weil das, bei aller Kritik an einzelnen Gewerkschaften oder Gewerkschaftern, an zu geringen Tariferhöhungen und schlechten Tarifabschlüssen zu Arbeitsbedingungen, häufig funktioniert, schmeckt es vielen Arbeitgebern nicht. Arbeitnehmerinteressen nerven und schmälern den Gewinn, ist die Devise.

 

Und genau deswegen blasen die willigen Vollstrecker der Arbeitgeber in Politik und Medien zum Generalangriff: Der Lokführerstreik gefährde den Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze, die Fahrgäste würden als Geiseln genommen. Und folglich sollen dem Streik die Zähne gezogen werden, er soll zum symbolischen Akt werden, am besten am Wochenende oder nach Feierabend!

 

Die Durchsetzungsfähigkeit der Rechte von Belegschaften steht und fällt aber damit, dass sie im Zweifel auch mit Arbeitsniederlegungen streiten, also streiken können. Streik ist nicht der erste Schritt, sondern steht am Ende einer erfolglosen Verhandlungsphase und ist gleichzeitig Anfang einer neuen Verhandlungschance. Wie denn, bitte schön, sollte ein verhandlungsunwilliger Arbeitgeber sonst zum Verhandeln gezwungen werden, wenn nicht durch Arbeitsniederlegung? Streik alleine trifft ihn an der Geldbörse - und da sind Arbeitgeber empfindlich!

 

Im Falle des Bahnstreiks kann man über alle möglichen Motive spekulieren, die die Gewerkschaft oder ihren Vorsitzenden möglicherweise antreiben. Aber eins ist doch vor allem wahr: 91 Prozent der 16.000 GdL-Mitglieder haben für den Streik gestimmt. Dies einen egoistischen Alleingang ihres Vorsitzenden zu nennen, ist offensichtlich falsch. Und auch wenn es hoch gegriffen scheint: Der Streik der GdL ist angesichts der aktuellen Debatte ein Streik für das Streikrecht an sich und gegen die Versuche der SPD(!)-Ministerin Nahles, genau dieses Streikrecht einzuschränken.

 

Als LINKE werden wir nicht vergessen:

Der erste bekannte Streik der Geschichte war ein Streik der Arbeiter an den Pyramiden, die ihren Lohn einforderten. Als der Kapitalismus noch völlig schrankenlos war, waren Streiks illegal und forderten immer wieder viele Tote. Es war erst ein Streik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet - nach damaligen Gesetzen übrigens ein illegaler – der ab 1889 das Streikrecht wieder einführte. Es waren Streiks, die gerade mal vor einigen Jahrzehnten die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Arbeitszeitverkürzung brachten. Von vielen anderen Streiks für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. Davon profitieren wir heute alle - und immer waren die Gegenargumente der Arbeitgeber die gleichen wie heute.

 

Sozialen Fortschritt gibt es nicht geschenkt, schon gar nicht von den Arbeitgebern. Deswegen werden manchmal Züge stehen bleiben, Autos nicht gebaut, Mülltonnen nicht abgeholt, wird Stahl nicht gegossen und werden Zeitungen nicht gedruckt. Wer das kritisiert, macht sich und alle abhängig Beschäftigten wehrlos. Deswegen: Schützt das Streikrecht, auch und gerade wenn Frau Merkel offensichtlich nicht verstanden hat, worum es geht.

 

Jochen Bülow, Mitglied bei Ver.di