„Gegen die Mutlosigkeit“

Dr. Kathrin Meß

Nachdem die rheinland-pfälzische LINKE auf ihrem Trierer Parteitag Ende November offiziell ihren Landtagswahlkampf eröffnet hat, starten die Stadt- und Kreisverbände der Partei im Dezember mit Aktionswochen zum Thema „Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV“ durch. Dr. Kathrin Meß, Spitzenkandidatin auf Platz 2 der Landesliste, äußert sich im aktuellen Interview zum Thema.

Frage: Kathrin, im Spitzenduo der LINKEN machst Du Dich stark für soziale Gerechtigkeit. Wo hapert es in Rheinland-Pfalz am meisten?

Dr. Kathrin Meß: Unter sozialer Gerechtigkeit verstehen wir, dass jeder Mensch die gleichen Chancen hat, sich in seinem Sinne als Persönlichkeit zu entfalten und zu entwickeln und auch als solche Anerkennung zu finden. Dazu gehört die Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben wie auch die Perspektive ein finanziell auskömmliches Leben führen zu können. Davon ist leider eine zunehmende Anzahl von Menschen auch in Rheinland-Pfalz weit entfernt. Unsere Landesregierung tut so als gäbe es kein Armutsproblem – aber laut offizieller Statistik lebt hier jedes fünfte Kind in Armut. Das Land muss Druck ausüben auf den Bund, den verfassungswidrigen Hartz-IV Regelsatz für Kinder zu erhöhen und ebenso das Kindergeld. Aber auch die Langzeitarbeitslosen werden bei uns nicht genügend gefördert. Arbeitsagenturen und Jobcenter traktieren gestandene, zum Teil gut ausgebildete Leute, die schon viele Jahre Erwerbsleben hinter sich haben, mit immer gleichen, teuren und sinnlosen Bewerbungstrainings anstatt sie zum Beispiel mit guten Umschulungen zu unterstützen.

Als Dozentin an einer Hochschule bist du auch mit der unmittelbaren Lebenssituation der Studierenden konfrontiert. In der Öffentlichkeit wird das Thema „Armut bei Studenten“ praktisch nicht wahrgenommen. Was sagst du dazu?

Dr. Kathrin Meß: Bei diesem Thema bahnt sich eine mittlere Katastrophe an. Der Hochschulstandort Rheinland-Pfalz ist durch Umstrukturierungen geprägt, die einerseits das Studium immer weiter verschulen, den Absolventen aber keinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, und andererseits von einer Verteuerung der Lebenshaltungskosten, die ohne Zweit- und sogar Drittjobs kaum noch finanzierbar sind. An dieser Stelle offenbart sich das Versagen unserer rot-grünen Regierung: Sie ist auch an der Umsetzung der von ihr selbst geforderten Bildungsgerechtigkeit gescheitert. Es gibt kaum eine alleinerziehende Frau im Studium, die nicht auf Mindestsicherung angewiesen ist, viele Studierende schließen hoch verschuldet ihre kreditfinanzierte Ausbildung ab. Nur eine Minderheit mit vermögenden Eltern im Hintergrund hat heutzutage gute Voraussetzungen für eine Lehre oder ein Studium. An den Hochschulen wehren sich die Studierenden ja gerade gegen die schlechten Studienbedingungen. Hoffentlich ändert sich einiges...

Ebenso wie die meisten Kommunen ist unser Bundesland selbst hoch verschuldet – man spricht von über 40 Milliarden, was einer Schuldenzunahme von mehr als 30 Prozent seit der Landtagswahl 2011 entspricht. Einerseits fließt viel Geld in teure Renommierprojekte wie Nürburgring, Hahn und Hochmoselbrücke, andererseits wird an den „Sozialkosten“ gespart. Ist Rheinland-Pfalz reif für eine echte gesellschaftliche Alternative?

Dr. Kathrin Meß: Ja auf jeden Fall. Wenn man sich allein das finanzielle Desaster ansieht, kann man sich schon fragen, warum uns LINKEN immer unterstellt wird, dass wir nicht mit Geld umgehen könnten. Was wir wollen, ist die Abkehr von steuerfinanzierten Großprojekten, von denen nur wenige profitieren, hin zu einer Umverteilung zugunsten gerechter Zukunftsperspektiven für alle. Ich spreche sehr viel mit Leuten aus verschiedensten Bereichen wie den Gesundheitsdiensten, der Landwirtschaft, dem Einzelhandel und der Gastronomie und höre die große Unzufriedenheit, oder fast noch schlimmer, die Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit, die sich zunehmend ausgebreitet hat. Viele fühlen sich von der Politik im Stich gelassen mit ihren Problemen. Unsere Landesregierung hat in vielen Bereichen nur eine Schaufensterpolitik betrieben. Manches, was auf den ersten Blick gut aussieht, erweist sich auf den zweiten Blick als fauler Kompromiss. Das gilt etwa für die Angestellten im Pflegebereich, die gezwungen werden Mitglied in einer Pflegekammer zu werden, die sich weder für eine bessere Bezahlung noch für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Auch viele Landwirte in Rheinland-Pfalz sind hoch verschuldet und kurz vor der Aufgabe ihrer Höfe. Sie wurden trotz vollmundiger Versprechen ebenfalls von unserer Landesregierung im Stich gelassen. Das Leben als „Selbstständiger“ hat keineswegs zu existenzsichernden Einkommen geführt und zwingt viele zum „Aufstocken“. Wir brauchen in Rheinland-Pfalz endlich Strukturinvestitionen und einen öffentlichen Beschäftigungssektor, weil ganze Regionen wie die Südpfalz, Hunsrück und Eifel nahezu komplett vom Arbeitsmarkt abgehängt sind und dort wachsende Not und Armut herrschen.

Du hast in den letzten Jahren unter anderem als Kreistagsmitglied viel politische Erfahrung gesammelt. Bist du mit dem gerade beschlossenen Landtagswahlprogramm der LINKEN zufrieden?

Dr. Kathrin Meß: Ja, ich bin sehr zufrieden. Eigentlich müssten wir an einigen Stellen noch ausführlicher sein, denn gerade wenn es zum Beispiel um die Landesfinanzen geht, stehen wir vor sehr komplexen Aufgaben. Unser Programm ist basisdemokratisch entstanden – auf unserer Homepage stand es mehrere Wochen zur Diskussion und alle Mitglieder sowie an linker Politik Interessierte konnten Änderungsvorschläge einbringen. Am Abstimmungsverhalten auf dem Parteitag hat man ja auch sehen können, dass die Mitglieder sich im Programm wieder gefunden haben. Als Kreistagsmitglied sehe ich, wie viel man auf kommunaler Ebene erreichen kann. Allerdings muss man auch dort gut aufpassen, dass die Gelder nicht an den wirklich wichtigen Projekten vorbei geschleust werden. Diese Aufgabe will ich auch im Landtag wahrnehmen. 

Liebe Kathrin, wir danken für dieses Gespräch und wünschen dir viel Erfolg als Kandidatin der LINKEN bei der Landtagswahl.

Zur Person: Die promovierte Historikerin Dr. Kathrin Meß, Jahrgang 1965, arbeitet als Dozentin an der Universität Luxemburg und wohnt in Saarburg. Sie ist Mitglied im Kreistag Trier-Saarburg und dort unter anderem in den Ausschüssen für Gesundheit und Soziales, Gleichstellung und Integration, Schule/Medien und Kultur sowie im Aufsichtsrat des Saarburger Kreiskrankenhauses aktiv. Ihre Themenschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung, besonders engagiert ist sie außerdem in der außerparlamentarischen Bewegung gegen das Freihandelsabkommen TTIP.