»Zivilgesellschaftlicher Druck kann TTIP stoppen«

Klaus Ernst, MdB u. Alexander Ulrich, MdB

Bei TTIP geht es um weit mehr als nur um Chlorhühnchen: Die antidemokratischen Tendenzen von TTIP, CETA UND TISA schränken politischen Handlungsspielraum massiv ein und weiten Konzernrechte gleichermaßen aus – zulasten von Beschäftigten, Verbraucher_innen und Steuerzahlenden. Die Abkommen sind Angriffe auf die Demokratie. Doch starker zivilgesellschaftlicher Protest kann das noch verhindern, sagen Klaus Ernst und Alexander Ulrich im Interview der Woche.

 

Am kommenden Donnerstag debattiert der Bundestag auf Initiative Ihrer Fraktion über das TTIP genannte Abkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. Worum geht es Ihnen dabei?

Klaus Ernst: TTIP ist in aller Munde, über 700.000 Unterschriften hat das Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ dagegen gesammelt. Selbstverständlich muss diese Debatte auch im Parlament ihren Niederschlag finden. Aufhänger ist eine Große Anfrage mit 125 Fragen, die meine Fraktion zu TTIP erarbeitet hat. Ohne unsere parlamentarische Arbeit würde die Große Koalition das Thema im Bundestag glatt verschweigen. Nun aber ist der Vertragstext für das geplante Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Kanada, das sich abgekürzt CETA nennt, fertig verhandelt und wurde von der Tageschau öffentlich zugänglich gemacht. Die Befürchtungen haben sich bestätigt: Zum Beispiel enthält der CETA-Text weitgehende Klagerechte für Konzerne gegenüber den Vertragsstaaten. Aus diesem Grund soll am Donnerstag auch ein Antrag zu CETA abgestimmt werden, bei dem vor allem die Sozialdemokraten zeigen müssen, wie sie dazu stehen.

Dazu hat sich doch der SPD-Konvent am Wochenende recht entschieden geäußert. Oder zweifeln Sie an der Umsetzung durch die SPD-Spitze und die Minister?

Klaus Ernst: Ganz klar ist mir nicht, wohin die SPD und ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel steuern. Erst gab sich Gabriel bei Investorklagen äußerst kritisch, doch dann hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, man müsse schauen, "ob das europäische Gesamtinteresse an einem Freihandelsabkommen so überwiegend ist, dass gegebenenfalls ausgehandelte lnvestitionsschutzabkommen hingenommen werden können". Jetzt wieder steht im Beschluss des SPD-Konventes zu TTIP von Samstag: „In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren abzulehnen“. Das gelte auch für CETA. Wir werden weiter sehr genau hinschauen und eine klare Linie einfordern.

Die Bundesregierung ist über die verschiedenen EU-Institutionen in die Verhandlungsprozesse eingebunden. Welche Positionen vertritt die deutsche Regierung dort?

Alexander Ulrich: Die Bundesregierung will TTIP unbedingt durchsetzen. Die gelegentlich medienwirksam verbreitete Kritik ist nichts als heiße Luft. In Deutschland erweckt die Bundesregierung gerne den Eindruck, sie sei gegen neue Investorenklagerechte. Auf EU-Ebene fordert sie aber lediglich ein paar kleine Ausnahmen. Ähnlich ist es bei der Kritik an der Intransparenz der Verhandlungen. In Deutschland fordert insbesondere der Wirtschaftsminister regelmäßig mehr Transparenz. Auf EU-Ebene allerdings verlangt die Bundesregierung weder aktiv eine bessere Informationspolitik, noch geht sie mit gutem Beispiel voran. Wenn ich mir die Qualität ihrer Antworten auf zahlreiche Fragen unserer Fraktion zu TTIP anschaue, dann bekomme ich den Eindruck, dass die Bundesregierung selbst versucht, die demokratische Kontrolle so schwer wie möglich zu machen.

Das europäisch-kanadische Abkommen CETA, das oft als "Blaupause" für TTIP bezeichnet wird, ist so gut wie fertig. Am kommenden Freitag findet ein Gipfeltreffen zwischen der EU und Kanada statt. Werden wir dann mehr erfahren?

Alexander Ulrich: Den Inhalt des CETA-Abkommens kennen wir, da der Vertragsentwurf vollständig geleakt wurde. Es ist schlimmer als befürchtet. Sollte dieser Vertrag zustande kommen, wären zentrale Bestandteile der Daseinsvorsorge, der sozialen Sicherheit und der Demokratie ernsthaft bedroht. Die EU-Kommission will am Freitag den Deckel zumachen. Ihr Motto heißt: die Verhandlungen sind beendet. Einige Mitgliedsstaaten wollen hingegen Spielräume für Nachverhandlungen offen lassen. So oder so steht die Ratifizierung noch aus. Entschieden ist hier noch nichts.

Die Kritikpunkte an beiden Abkommen sind vielfältig: Von abgesenkten Verbraucherschutzstandards über beschnittene Beschäftigtenrechte bis hin zu Investorenschutz. Was ist aus Ihrer Sicht das zentrale Problem bei TTIP und CETA?

Klaus Ernst: Zentrales Problem ist meiner Ansicht nach die antidemokratische Tendenz der Abkommen. Der politische Handlungsspielraum soll eingeschränkt werden, während Konzernrechte in gleichem Maße ausgebaut werden. Dies ist am Ende mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten, die Verbraucherinnen und die Steuerzahler verbunden, während eben vor allem die internationalen Konzerne profitieren werden. Eine Kernkritik sind dabei die Klagerechte von Investoren gegen den Staat und gegen dessen demokratisch legitimierte Entscheidungen, wenn diese die Profitinteressen des Unternehmens beeinträchtigen. Ein weiterer Punkt ist die so genannte regulatorische Kooperation, bei der zu befürchten steht, dass Regulierungskompetenz an Technokraten und Unternehmenslobbyisten übertragen wird. Allgemeinwohlinteressen fallen herunter.

Die Europäische Bürgerinitiative "TTIP stoppen" wurde von der Europäischen Kommission aus formalen Gründen abgewiesen. Was steht dahinter? Und: Kommt die Kommission damit durch?

Klaus Ernst: Die Europäische Bürgerinitiative, EBI, wurde aus rein formalistischen Gründen abgewiesen. Erbärmliche Reaktion! Inwiefern dazu juristischer Spielraum vorhanden ist, kann ich im Detail nicht beurteilen. Die Hauptinitiatoren der EBI werden das jedenfalls vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen. Klar ist: Diese Entscheidung der EU-Kommission ist rein politischer Natur. Die Kommission hat Angst, dass die Anti-TTIP-Bewegung noch mehr Stärke gewinnt. Letztendlich wird der Schuss jedoch nach hinten losgehen: „Jetzt erst recht!“, heißt es in der zivilgesellschaftlichen Bewegung. Wenn keine offizielle EBI möglich ist, dann wird eben eine außerhalb dieser Struktur auf die Beine gestellt.

„Jetzt erst recht“ heißt es aber offenbar nicht beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Der hat vergangene Woche in einem gemeinsamen Papier mit der SPD-Spitze „Ja, aber“ zu TTIP gesagt.

Alexander Ulrich: Das stimmt Allerdings ist das DGB-Papier doch an entscheidenden Stellen, wie beim Investitionsschutz, deutlich schärfer als das, was der SPD-Parteikonvent nun daraus gemacht hat. Zudem muss man sehen, dass es im DGB eine lebhafte Debatte gibt und das „Ja, aber“ keineswegs von allen geteilt wird. Auch in den Mitgliedsgewerkschaften gibt es deutlich kritischere Positionen, insbesondere bei ver.di, der GEW und der IG Metall. Festhalten muss man aber trotzdem, dass das neue DGB-Papier erstmal ein Rückschritt gegenüber früheren Positionen ist. Das ist natürlich unerfreulich.

Ist zivilgesellschaftlicher Protest gegen europäische Politik denn überhaupt noch möglich und Erfolg versprechend?

Alexander Ulrich: Unbedingt! Zivilgesellschaftlicher Protest ist unerlässlich, wenn wir TTIP stoppen wollen. Beim TTIP hat die Kommission die Verhandlungen zum Investitionsschutz vorübergehend ausgesetzt. Die Bundesregierung hat einen Beirat einberufen, um Kritiker einzubinden. Das sind kleine Schritte. Aber sie zeigen, dass politischer Druck da ist. Dieser Druck entsteht ja nicht, weil DIE LINKE im Bundestag besonders fiese Fragen stellt oder harte Anträge formuliert. Er kommt aus der Öffentlichkeit. Wenn er weiter wächst, wird es ganz schwierig, TTIP durchzusetzen. Natürlich werden auch wir weiterhin alles tun, um TTIP zu verhindern. Dazu gehört sowohl die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen als auch eine intensive parlamentarische Arbeit.

linksfraktion.de, 22. September 2014